Wie Xs neues Standort-Feature die wahre Herkunft antiisraelischer und antisemitischer Accounts enttarnt
Die digitale Schlacht um die öffentliche Meinung war selten so undurchsichtig wie heute. Millionen Menschen scrollen täglich durch Posts, Reels und Tweets, ohne zu ahnen, wer am anderen Ende sitzt. Was nach echten Augenzeugen klingt, entpuppt sich oft als jemand, der tausende Kilometer entfernt in einem Café sitzt und mit Fake-Profilen Stimmung macht. Das neue Standort-Feature von X/Twitter hat diese Fassade erstmals systematisch aufgerissen.
Was sichtbar wird, ist ein globales Geflecht aus Desinformation, politischer Einflussnahme, Identitätsfälschungen und monetisierten Empörungskampagnen. Besonders stark betroffen: alles rund um Israel, Gaza, den Nahostkonflikt und antisemitische Narrative.
Ein Feature mit Sprengkraft
X hat seit der Übernahme durch Elon Musk das Image einer offenen „digitalen Agora“ gepflegt, in der klassische Medien durch Bürgerjournalismus ersetzt werden sollen. Doch ein zentraler Baustein dieses Ideals war immer wackelig: die Identität der Stimmen.
Mit dem neuen Feature, das zeigt, über welchen App-Store und aus welcher Region ein Account eingeloggt ist, hat die Plattform erstmals ein Instrument geschaffen, um Authentizität zumindest grob zu überprüfen. Der Chef für Produktentwicklung, Nikita Bier, formulierte es als „Schutz der Integrität“ des Informationsraums.
Was danach folgte, war ein Erdbeben.
Die Tarnung der Anti-Israel-Influencer: Viel Flagge, wenig Fakten
Binnen Stunden deckten Nutzer Dutzende Accounts auf, die seit Monaten oder Jahren Anti-Israel-Narrative, Pro-Hamas-Propaganda oder radikale antiwestliche Botschaften verbreiteten – und sich dabei als Palästinenser, Libanesen, amerikanische Aktivisten oder europäische Journalisten ausgegeben hatten.
Beispiele, die das Ausmaß offenlegen:
- Silenced Sirs: Behauptet, libanesische Stimmen zu verstärken, trägt die libanesische Flagge im Profil – wird aber über den US-App-Store und teilweise aus dem Kongo registriert.
- Censored Voice: Gibt sich als Nahost-Aktivist aus. Standortverlauf deutet eher auf Südostasien oder Südasien hin. 24 Namensänderungen seit dem letzten Sommer.
- Tiberius: Pretendiert, ein britischer Journalist mit linker, antiisraelischer Haltung zu sein. Tatsächlich Login aus Thailand – plus über zwei Dutzend früherer Alias-Namen.
- The Times of Gaza: Fast eine Million Follower, „Location: Palestine“, angeblich Live-Berichterstattung aus Gaza – in Wirklichkeit ostasiatische Logins und ein App-Store aus Nordafrika.
- Gaza Now Arabic: Einer der größten pro-Hamas-Accounts. Basierend in der Türkei.
- Mohammad Smiry: Vielzitierter angeblicher Reporter im Gazastreifen. Standort laut X: Indonesien. Seine Erklärung: „Mein Bruder hat Zugriff.“
Das Geschäftsmodell hinter der Empörung: Monetarisierte Krisen
Viele der Accounts, die angeblich aus Gaza berichten, betreiben Spendenkampagnen:
- „Ameer in Gaza“ – Standort UK, aber sammelt Geld für „Hungernde im Gazastreifen“.
- „Mahmoud in Gaza“ – tatsächlich in den Niederlanden.
- Dima Alghrbawi – 34.000 Dollar über GoFundMe, aber der Account wurde offenbar von Nigeria aus betrieben.
Hier zeigt sich ein gefährlicher Cocktail:
emotionale Krisenbilder, gefälschte Identitäten, Spendenaufrufe und hohe Reichweite.
Das Problem ist nicht nur moralischer Natur. Es gefährdet auch Hilfsorganisationen, echten Journalismus und die Sicherheit von Menschen, die tatsächlich im Konfliktgebiet leben.
Astroturfing statt Aktivismus: Die globale Manipulationsmaschine
Viele Diskussionen rund um Israel erleben eine extreme Polarisierung. Was bislang wie organisch gewachsene politische Bewegungen wirkte, entpuppt sich in vielen Fällen als Astroturfing – künstlich erzeugte Graswurzelbewegungen, die im Ausland gesteuert werden.
Beispiele für politische Einflussnahme:
- Far-Right-Accounts in den USA – einige prominente Profile wurden in Pakistan, der Türkei oder Nordafrika lokalisiert.
- Pro-Israel-Accounts aus Indien oder Nigeria – selbst angebliche IDF-Soldatinnen-Accounts waren Fake-Profile.
- Anti-Zionistische Orthodox-Juden-Accounts – wie „Torah Judaism“ aus den Philippinen.
- Pro-Iranische Accounts – teilweise direkt ans Regime angebunden.
- Influencer wie Jackson Hinkle – laut X zeitweise in Burkina Faso geolokalisiert.
Warum ausgerechnet Israel so stark betroffen ist
Der Nahostkonflikt ist ein globaler Magnet für geopolitische Propaganda:
- Iran, Türkei, Katar nutzen soziale Medien, um antiisraelische Narrative zu fördern.
- Extremistische Netzwerke schüren bewusst Spaltung.
- Antisemitische Gruppen instrumentalisieren die Lage für Ideologie und Hass.
- Influencer-Ökonomien verdienen am Clickbait der Krise.
Der Konflikt wird zum digitalen Stellvertreterkrieg, in dem Narrative die stärksten Waffen sind.
Israel reagiert: „Die Masken sind gefallen“
Das israelische Außenministerium begrüßte die Enthüllungen. Zahlreiche Accounts, die behaupteten, aus zerstörten Wohnblocks in Gaza zu senden, sitzen in Wahrheit in europäischen Großstädten oder in pakistanischen Internetcafés.
Die Formulierung war scharf: „Alle behaupten zu leiden, während sie bequem in einem Coffee Shop sitzen.“
Die digitale Inszenierung dient weniger der Information als der Manipulation – und viele Nutzer merken es nicht.
Experten warnen schon seit Jahren
Der Analyst Eitan Fischberger betont, dass diese Muster bereits lange sichtbar waren. Die neuen Daten seien lediglich die Bestätigung einer alten Vermutung:
- Narrative wie „Amerika ist von Zionisten kontrolliert“
- „Epstein war ein israelischer Spion“
- „US-Mieten sind wegen Israels Auslandshilfe so hoch“
Viele dieser Profile wirken amerikanisch, nutzen US-Slang und kommentieren US-Politik – sind aber in Wahrheit in Saudi-Arabien, Nigeria, Nordafrika, der Türkei oder Pakistan ansässig.
Fischberger spricht von einer „koordinierten ausländischen Kampagne“, die die US-Israel-Beziehung schwächen soll.
Was die Enthüllung über den Zustand der digitalen Öffentlichkeit sagt
Das Problem geht über Israel hinaus. Es betrifft jede Demokratie, die von Desinformation und Identitätsfälschungen unter Druck steht.
Die großen Gefahren:
- Authentizität erodiert – echte Stimmen werden unkenntlich.
- Manipulation von Debatten durch ausländische Akteure.
- Monetarisierte Empörung – Fake-Accounts kassieren Spenden und Reichweite.
- Radikalisierung durch Echokammern.
- Vertrauensverlust in echten Journalismus.
Warum das Standort-Feature trotz Schwächen ein Fortschritt ist
Natürlich ist das System nicht perfekt. VPNs, geteilte Geräte und mehrfache Nutzer können Ergebnisse verfälschen.
Aber die Masse an enthüllten Fake-Identitäten ist so groß, dass es keine Zufälle mehr sein können.
Zum ersten Mal haben Nutzer ein Werkzeug, um Manipulation zumindest grob zu erkennen.
Der digitale Kampf um Wahrheit hat erst begonnen
X hat mit einem einzigen Feature offengelegt, wie tiefgreifend die digitale Scheinwelt rund um Gaza, Israel und Antisemitismus inzwischen ist.
Die Erkenntnis ist unbequem: Ein großer Teil der lautesten Stimmen stammt nicht aus Gaza, nicht aus Israel und oft nicht mal aus dem Westen.
Die Diskussion, die wir für authentisch hielten, ist in Wahrheit zu großen Teilen importiert, gesteuert und finanziell motiviert.
Wer sich im Netz informieren will, muss heute mehr denn je prüfen, hinterfragen und skeptisch bleiben. Denn im digitalen Krieg sind nicht Panzer die mächtigste Waffe – sondern Narrative.
