🔵 Prominente fordern Freilassung eines verurteilten Terroristen – Der Fall Marwan Barghouti und die systematische Verklärung von Gewalt
Der Name Marwan Barghouti taucht regelmäßig in internationalen Debatten über den Nahostkonflikt auf. Auffällig ist dabei, dass er oft weniger im Zusammenhang mit konkret belegten Taten und rechtskräftigen Urteilen genannt wird, sondern als Projektionsfläche für politische Wünsche, moralische Erzählungen und die westliche Sehnsucht nach einem palästinensischen „Mandela“. Genau hier beginnt das Problem. Diese Symbolfigur-Erzählung steht in einem klaren Widerspruch zu öffentlich dokumentierten Fakten, zu den juristischen Grundlagen seiner Verurteilung und zur historischen Einordnung seiner Rolle während der Zweiten Intifada.
Wer den Fall seriös beurteilen will, muss zwei Dinge gleichzeitig aushalten. Erstens, Barghouti ist in Teilen der palästinensischen Gesellschaft politisch populär. Zweitens, er ist von einem israelischen Zivilgericht wegen Mordes und weiterer Delikte verurteilt worden. Beides kann gleichzeitig wahr sein. Nur wird in vielen Kampagnen genau diese Spannung aufgelöst, indem die Opfer verschwinden und die Taten sprachlich weichgespült werden.
Over 200 celebrities are calling for the release of convicted terrorist Marwan Barghouti, who is serving multiple life sentences for orchestrating attacks that killed innocent Israelis and a Greek monk during the Second Intifada.
The diverse range of celebrities who signed the… pic.twitter.com/BSKD66Ea5a
— Hen Mazzig (@HenMazzig) December 3, 2025
Wer Marwan Barghouti tatsächlich ist
Marwan Barghouti ist ein palästinensischer Politiker, der innerhalb der Fatah zu den bekanntesten Figuren zählt. Er war Abgeordneter im Palästinensischen Legislativrat und stieg in den 1990er Jahren innerhalb der Fatah-Strukturen auf. Seine Biografie ist in mehreren Nachschlagewerken und Dossiers nachvollziehbar dokumentiert, unter anderem in der Encyclopaedia Britannica sowie in der ausführlichen Darstellung der Jewish Virtual Library.
Für die Einordnung zentral ist Barghoutis Rolle im Umfeld bewaffneter Gruppen. Laut Britannica organisierte er Mitte der 1990er Jahre die Tanzim, eine bewaffnete Fatah-Struktur. Damit ist Barghouti nicht nur als Politiker, sondern auch als Organisator einer militanten Formation beschrieben. Die Jewish Virtual Library ordnet ihn zudem als früheren Fatah Tanzim Milizen-Kommandeur ein und beschreibt seine spätere Verurteilung im Kontext von Anschlägen während der Zweiten Intifada.
Auch politikwissenschaftliche Einordnungen bestätigen den Doppelcharakter seiner Rolle. Der European Council on Foreign Relations beschreibt Barghouti als prominente Figur der Fatah, die fünf lebenslange Haftstrafen verbüßt und in palästinensischen Debatten häufig als „Palestinian Mandela“ bezeichnet wird. Genau diese Label-Logik ist jedoch eine politische Deutung, keine juristische Entlastung.
Historischer Kontext Zweite Intifada und die Logik der Gewalt
Die Zweite Intifada, die ab 2000 eskalierte, war geprägt von massiver Gewalt, darunter zahlreiche Anschläge auf israelische Zivilisten. In dieser Phase wurde Barghouti international zunehmend als einflussreicher Fatah-Vertreter wahrgenommen. Die öffentliche Debatte über seine Person hängt daher untrennbar an der Frage, wie man politische Führung in einem Umfeld bewertet, in dem bewaffnete Strukturen nicht Randphänomen, sondern Teil der Machtarchitektur waren.
Für eine saubere Analyse zählt nicht, ob jemand in Interviews gelegentlich politische Ziele formuliert, sondern ob er bewaffnete Gewalt organisiert, legitimiert oder ermöglicht. Genau auf dieser Ebene setzt die juristische Bewertung an, die später zur Verurteilung führte.
Rechtsstaatliche Verurteilung durch ein ziviles Gericht
Barghouti wurde im Jahr 2004 von einem israelischen Zivilgericht verurteilt. Die israelische Regierung fasst seine Verurteilung und die damit verbundenen Vorwürfe in einer offiziellen Darstellung zusammen, abrufbar unter gov.il. Ergänzend dokumentiert die gov.il Seite zur Verurteilung die Kernaussagen zur strafrechtlichen Einordnung.
Ein zentraler Fakt, der in vielen internationalen Kampagnen regelmäßig unterschlagen wird, lautet: Barghouti wurde nicht wegen einer Meinung inhaftiert. Er wurde wegen seiner Rolle bei tödlichen Anschlägen verurteilt. Diese Unterscheidung ist nicht kosmetisch, sondern juristisch und moralisch entscheidend. Wer sie verwischt, betreibt keine Menschenrechtsarbeit, sondern politische Umdeutung.
Nach den zusammengefassten Darstellungen in mehreren Quellen wurde Barghouti am 20. Mai 2004 wegen fünf Mordfällen verurteilt. Die Verurteilung steht im Zusammenhang mit Anschlägen, bei denen fünf Israelis getötet wurden. Diese Eckdaten finden sich sowohl in der ausführlichen Fallbeschreibung der Jewish Virtual Library als auch in der biografischen Übersicht bei Wikipedia, die den Ablauf von Anklage, Prozess und Urteil mit Datumsangaben zusammenführt.
Die Strafzumessung wird in mehreren Darstellungen konsistent beschrieben. Barghouti erhielt fünf kumulierte lebenslange Haftstrafen sowie eine zusätzliche Haftstrafe von 40 Jahren. Diese Angaben finden sich unter anderem in der Prozessdarstellung der Wikipedia Übersicht sowie in Analysen, die den Fall in den politischen Kontext einordnen, etwa beim ECFR.
Wichtig für die Faktenlage ist auch, dass Barghouti die Legitimität des Gerichts bestritt und sich nicht im üblichen Sinne verteidigte, was in mehreren Prozesszusammenfassungen erwähnt wird, unter anderem in der chronologischen Darstellung bei Wikipedia. Das ändert nichts am Grundsatz, dass das Urteil auf der Bewertung von Beweisen, Zeugenaussagen und der Einordnung seiner organisatorischen Verantwortung beruht.
Organisationsverantwortung ist keine Ausrede, sondern ein Kernprinzip des Strafrechts
Ein häufiger rhetorischer Trick in Kampagnen für Barghoutis Freilassung lautet, die Diskussion auf die Frage zu verengen, ob er persönlich geschossen habe. Das ist in dieser Form eine Ablenkung. In Fällen organisierter Gewalt ist die entscheidende Frage, ob jemand Strukturen aufbaut, Anschläge ermöglicht, Täter unterstützt oder Operationen autorisiert. Wer das tut, trägt nach gängigen Grundsätzen strafrechtlicher Verantwortlichkeit Schuld, auch wenn er nicht selbst am Tatort steht.
Warum die Unterscheidung zwischen politischer Rolle und terroristischer Gewalt so wichtig ist
Barghouti kann politisch bewertet werden, seine Popularität kann analysiert werden, sein Einfluss auf Fatah-interne Machtfragen kann thematisiert werden. All das ist legitim und wird etwa im Profil des ECFR ausführlich eingeordnet. Was jedoch nicht legitim ist, ist eine Darstellung, die seine Verurteilung faktisch entkernt, indem sie die Opfer unsichtbar macht und die Gewalt auf eine Art Nebensatz reduziert.
Wer ernsthaft über Frieden, Versöhnung und politische Lösungen sprechen will, braucht zuerst eine gemeinsame Grundlage. Diese Grundlage ist nicht Pathos, nicht Promi-Petitionen und nicht der Vergleich mit historischen Ikonen, sondern prüfbare Fakten. Beim Fall Barghouti gehören dazu seine dokumentierte Rolle in bewaffneten Strukturen, die öffentlich beschriebenen Grundlagen seiner Verurteilung und das klare juristische Prinzip, dass Organisatoren und Autorisierer nicht als harmlose Zuschauer behandelt werden können.
Die verurteilten Anschläge und belegte Verantwortung
Zu den Taten, für die Marwan Barghouti strafrechtlich verantwortlich gemacht wurde, zählen mehrere tödliche Anschläge aus den Jahren 2001 und 2002, also aus der Hochphase der Zweiten Intifada. Eine gut nachvollziehbare, journalistische Einordnung, warum Barghouti in Israel als Terror-Verurteilter gilt und weshalb Hamas ihn immer wieder auf Freilassungslisten sehen will, liefert die Times of Israel. Dort wird auch klar benannt, was in vielen internationalen Kampagnen gerne unter den Teppich gekehrt wird, Barghouti sitzt nicht wegen eines Tweets oder eines politischen Posters, sondern wegen Gewaltverbrechen und Mitwirkung an Anschlägen.
Für die juristische Bewertung ist ein Punkt entscheidend, den viele Berichte nur streifen oder sprachlich weichzeichnen. Die israelischen Gerichte warfen Barghouti nicht bloß „politische Nähe“ zu militanten Gruppen vor, sondern stellten fest, dass er als führender Funktionär Anschläge mit ermöglichte, indem er Strukturen steuerte, Ressourcen bereitstellte und operative Abläufe stützte. Genau deshalb wird in seriösen Zusammenfassungen seiner Verurteilung nicht nur von „politischer Führung“ gesprochen, sondern von Mitwirkung und organisatorischer Verantwortung.
Nach den Grundprinzipien moderner Strafverfolgung bei organisierter Gewalt ist das kein Nebenschauplatz. Befehls, Organisations und Beihilfeverantwortung sind tragende Kategorien, weil Terroranschläge nicht aus dem Nichts entstehen. Wer ein Netzwerk aufbaut, Täter schützt, Geldflüsse ermöglicht oder Operationen freigibt, trägt in der Praxis volle Verantwortung für das Ergebnis. Das ist keine israelische Sonderlogik, sondern ein Kernprinzip, das auch international in Verfahren zu organisierter Gewalt und Kommandostrukturen eine Rolle spielt.
Der Mord an Zivilisten und das bewusste Ausblenden der Opfer
Besonders schwer wiegt, dass die Opfer der Anschläge in vielen prominenten Solidaritätskampagnen praktisch nicht vorkommen. Keine Namen, keine Lebensgeschichten, keine Umstände. Stattdessen bleibt eine glattpolierte Erzählung übrig, in der es nur noch um „Symbol“, „Hoffnung“ und „Führung“ geht. Das ist nicht einfach eine Ungenauigkeit, das ist eine politische Entscheidung, weil das Benennen von Opfern automatisch die Frage stellt, wofür jemand verurteilt wurde und warum.
Dass es international dennoch eine Gegenbewegung gibt, zeigt der Blick auf Institutionen wie die Interparlamentarische Union, die Barghoutis Fall unter dem Aspekt parlamentarischer Rechte und Verfahrensfragen behandelt. Die IPU ist dabei ein gutes Beispiel für die politische Spaltung der Wahrnehmung. Israel bewertet Barghouti als Terror-Verurteilten, während Teile internationaler Akteure ihn als Symbolfigur rahmen. Diese Parallelwahrnehmung erklärt, warum Debatten oft aneinander vorbeilaufen, die eine Seite spricht über Opfer und Urteile, die andere über Symbole und Narrative.
Mediale Narrative und ihre Schieflage
Internationale Medien tragen maßgeblich dazu bei, dass aus einem rechtskräftig Verurteilten in der öffentlichen Wahrnehmung ein „unersetzlicher Hoffnungsträger“ wird. Häufig läuft das nach einem wiederkehrenden Muster. Zuerst wird Barghouti als populärer palästinensischer Politiker beschrieben, dann wird seine Haft als „umstritten“ etikettiert, und erst ganz am Ende kommt ein kurzer Halbsatz über eine Verurteilung wegen Anschlägen. Damit verschiebt sich die Gewichtung automatisch, weil Leser zuerst emotional andocken und die juristischen Fakten erst später als Fußnote wahrnehmen.
Ein Beispiel für diese Art der Debatte ist die internationale Berichterstattung über Barghouti als „möglichen Einiger“ oder „Zukunftsfigur“. Solche Zuschreibungen tauchen regelmäßig in Kommentaren und Analysen auf, auch in israelischen Medien wie Haaretz, wo Barghouti als politisch relevant diskutiert wird. Entscheidend ist jedoch, politische Relevanz ist keine juristische Entlastung. Popularität ersetzt keine Verantwortung.
Hinzu kommt eine zweite Schieflage, die man besonders gut bei emotionalen Video- und Haftgeschichten sieht. Beiträge wie bei PBS NewsHour rücken häufig den Gefängnisalltag, die politische Symbolik und die Dramaturgie in den Mittelpunkt. Das kann journalistisch legitim sein, es wird aber problematisch, wenn dabei die Kerndaten der Verurteilung nur noch als Hintergrundrauschen auftauchen. Wer den Konflikt fair darstellen will, muss beides leisten, menschliche Dimension und juristische Realität.
Ähnlich funktionieren Berichte, die Vorwürfe über Misshandlungen oder Angriffe in Haft thematisieren, etwa bei der BBC. Selbst wenn man solche Vorwürfe ernst nimmt und sie sauber prüfen lässt, bleibt der Punkt bestehen, Haftbedingungen sind eine eigene Debatte, sie machen aus einem Verurteilten keinen Unschuldigen. Wer beides vermischt, erzeugt nicht Aufklärung, sondern moralische Nebelkerzen.
Was am Ende oft übrig bleibt, ist ein medialer Kurzschluss. Der Täter wird zur Story, die Opfer werden zur Randnotiz. Und genau das ist der Grund, warum der Barghouti-Diskurs so polarisiert. Er ist weniger eine Diskussion über Fakten als eine Diskussion darüber, welche Fakten man sichtbar macht und welche man im Namen einer hübschen Erzählung lieber verschwinden lässt.
Politische Kampagnen und der Mandela-Mythos
Der Vergleich mit Nelson Mandela funktioniert als Schlagzeile, aber er hält als historische Einordnung nur dann, wenn man zentrale Unterschiede nicht weglässt. Mandela stand am Ende für Versöhnung, Rechtsstaat und einen politischen Übergang, der nicht über die Verklärung von Gewalt lief, sondern über Verhandlungen und einen klaren Bruch mit dem Apartheid-System.
Gleichzeitig ist es wichtig, nicht in die nächste Legende zu kippen. Mandela war nicht einfach der „Heilige der Gewaltfreiheit“. In seiner berühmten Erklärung im Rivonia-Prozess beschreibt er, dass der ANC nach Jahren erfolgloser, gewaltfreier Ansätze die Entscheidung für Sabotage und einen bewaffneten Arm traf. Der Punkt ist aber, welche Form von Gewalt politisch gerechtfertigt wurde und welche nicht.
In der späteren Aufarbeitung rund um die südafrikanische Wahrheits- und Versöhnungskommission wird dieser Kern immer wieder betont. Der ANC beanspruchte, sich an international akzeptable Kampfmethoden gebunden zu haben, und erklärte, er habe keine systematischen Angriffe auf Zivilisten sanktioniert. Wo es zu Überschreitungen kam, wurden sie als Fehlverhalten dargestellt, nicht als Programm.
Genau deshalb ist der Mandela-Vergleich im Fall Marwan Barghouti nicht nur schief, sondern irreführend. Er ersetzt die konkrete Frage nach Verantwortung durch eine moralische Abkürzung, nämlich, wer „wie Mandela“ klingt, müsse zwangsläufig ein Friedensschlüssel sein. Das ist politisches Storytelling, kein Faktencheck.
Politikwissenschaftliche Einordnungen wie jene des European Council on Foreign Relations zeigen Barghouti als Machtfaktor innerhalb eines fragmentierten palästinensischen Systems, der von vielen als „Palestinian Mandela“ gelabelt wird, während er zugleich fünf lebenslange Haftstrafen in Israel verbüßt. Schon diese Doppelbeschreibung zeigt, worum es bei dem Mythos geht, er ist ein politisches Etikett, keine juristische Entlastung.
Der Mythos funktioniert, weil er zwei Dinge gleichzeitig leistet. Er liefert westlichen Kampagnen eine ikonische Figur, die sich gut verkaufen lässt, und er schiebt das Unbequeme aus dem Bild, nämlich die Frage nach Gewalt gegen Zivilisten und nach der Rolle von Führungspersonen in einem Umfeld, in dem Gewalt nicht „passiert“, sondern organisiert, legitimiert oder ermöglicht wird.
Wer Barghouti politisch diskutieren will, kann das tun. Wer ihn zum Mandela-Klon macht, betreibt jedoch keine Analyse, sondern Image-Management. Und dieses Image-Management lebt davon, dass man die entscheidenden Unterschiede nicht erklärt, sondern unter einem hübschen Vergleich begräbt.
Vorwürfe zu Haftbedingungen und deren Instrumentalisierung
Immer wieder erscheinen Berichte über angeblich schwere Misshandlungen von Marwan Barghouti in israelischer Haft. Besonders häufig werden dabei Meldungen zitiert, die sich auf Aussagen von Prisoner Support Groups, Anwälten oder Familienangehörigen stützen, etwa bei Al Jazeera oder Middle East Eye. Der entscheidende Punkt ist dabei nicht, dass solche Vorwürfe per se ignoriert werden dürften, sondern dass ihre Beleglage in vielen Fällen nicht unabhängig überprüfbar ist, weil sie vor allem aus dem Umfeld Barghoutis oder aus politisch involvierten Strukturen stammt.
Auch wenn internationale Medien Vorwürfe aufgreifen, bleibt häufig offen, was davon forensisch, medizinisch dokumentiert oder gerichtlich belastbar ist. Selbst dort, wo Fälle diskutiert werden, ist die öffentliche Debatte oft schneller als jede überprüfbare Aufarbeitung. Genau deshalb ist eine saubere Trennung wichtig. Haftbedingungen sind eine eigene Frage, die nach rechtsstaatlichen Maßstäben geprüft gehört. Sie sind aber keine Umdeutung des Urteils und kein Ersatz für die juristische Kernfrage, warum Barghouti verurteilt wurde.
Parallel dazu werden Bilder und Videos aus dem Haftkontext immer wieder als politisches Druckmittel eingesetzt. Ein Beispiel ist die mediale Aufmerksamkeit rund um den Besuch des israelischen Ministers Itamar Ben Gvir bei Barghouti, der international teils als Provokation gewertet wurde und in der Debatte über Haftbedingungen eine große Rolle spielte, unter anderem in Berichten von PBS NewsHour. Diese Berichte zeigen, wie schnell ein Haftthema zur Bühne wird, mit maximaler Emotionalisierung und minimaler Präzision.
Genau hier liegt die typische Instrumentalisierung. Statt nüchtern zwei Ebenen zu trennen, nämlich Haftbedingungen auf der einen Seite und rechtskräftige Verurteilung auf der anderen, wird beides vermischt. Die Folge ist eine Debatte, die sich fast ausschließlich um Bilder, Symbolik und Empörung dreht, während die eigentlichen Gründe der Inhaftierung sprachlich in den Hintergrund rücken. Das ist politisch effektiv, aber journalistisch und rechtlich unsauber.
Israels rechtsstaatliche Perspektive
Aus israelischer Sicht ist der Kern des Falls eindeutig. Ein rechtskräftig verurteilter Mörder bleibt ein verurteilter Mörder, unabhängig davon, wie oft internationale Prominenz seine Freilassung fordert oder wie gerne man ihn zur Ikone umetikettieren möchte. Israel hat Barghouti nicht wegen Symbolik verurteilt, sondern wegen konkret belegter Taten und wegen seiner Rolle als führender Akteur in einem Gewaltkontext, der in Israel bis heute als Trauma der Zweiten Intifada präsent ist.
Das bedeutet nicht, dass Israel sich einer Prüfung von Haftbedingungen entziehen dürfte. Rechtsstaatlichkeit gilt auch im Umgang mit Verurteilten. Aber Rechtsstaatlichkeit bedeutet eben auch, dass Urteile nicht durch Promi Kampagnen, moralisches Framing oder mediale Dramaturgie ausgehebelt werden. Wer die Freilassung Barghoutis als zwingende „Friedensmaßnahme“ darstellt, greift damit nicht nur in eine politische Debatte ein, sondern stellt faktisch die Legitimität eines zivilen Gerichtsurteils und damit den israelischen Rechtsstaat in Frage.
Genau hier verläuft die eigentliche rote Linie. Nicht bei der Frage, ob jemand eine starke politische Biografie hat, sondern bei der Frage, ob Terrorverurteilungen in demokratischen Systemen noch etwas zählen oder ob man sie per Kampagne zur Folklore erklärt.
